Selbstbestimmungsrecht und der Fall Marla-Svenja Liebich
- dunkel3
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Was ist das Selbstbestimmungsrecht?
Das im November 2024 in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) ermöglicht Menschen, deren Geschlechtsidentität von ihrem Geschlechtseintrag abweicht, ihren Geschlechtseintrag und Namen durch einfache Erklärung beim Standesamt zu ändern. Es löste das bis dahin geltende Transsexuellengesetz (TSG) ab, welches hierzu in einem langwierigen Prozess zwei kostspielige und oft als schikanierend empfundene psychiatrische Sachverständigengutachten vorausgesetzt hatte. Das TSG wurde seit Jahrzehnten sowohl von queeren Menschen als auch von Menschenrechtsorganisationen sowie von einigen Sachverständigen, Politiker*innen und Stimmen aus der Wissenschaft als diskriminierend und erniedrigend kritisiert. Bestärkt wurde die gesellschaftliche Debatte durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts, das insgesamt sechs Mal die Verfassungswidrigkeit des TSG festgestellt und damit einzelne Regelungen des TSG außer Kraft gesetzt hatte, darunter die bis 2011 geltende Pflicht zur Sterilisation als zwingende Voraussetzung für eine Änderung des Geschlechtseintrages.
Der Fall Marla-Svenja Liebich
Marla-Svenja Liebich ist als rechtsextreme Person insbesondere für ihr Auftreten auf rechtsextremen Demonstrationen seit 2014 bekannt und wurde im Juli 2023 wegen in diesem Rahmen begangener Straftaten, darunter Volksverhetzung, üble Nachrede und Beleidigung, vom AG Halle zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Verurteilung wurde nach erfolgloser Berufung und Revision im Mai 2025 rechtskräftig.
Nach der erstinstanzlichen Verurteilung änderte Liebich Ende 2024 nach § 2 Abs. 1 S. 1 SBGG ihren bis dahin männlichen Namen und Geschlechtseintrag. Aufgrund des nunmehr weiblichen Geschlechtseintrages soll Liebich ihre Haftstrafe aus dem Urteil des AG Halle in einem Frauengefängnis verbringen. Zuvor war Liebich jedoch mehrfach durch öffentliche transfeindliche Aussagen aufgefallen. So habe sie beispielsweise von „Transfaschismus“ gesprochen oder trans* Personen als „Parasiten der Gesellschaft“ bezeichnet. Daher vermuten viele, dass Liebich das SBGG lediglich ausnutzt, um einen Generalverdacht gegen trans* Personen zu schüren und so die Rechte transgeschlechtlicher Menschen anzugreifen.
Tatsächlich entfachte der Fall eine öffentliche Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz und mögliche Missbrauchsgefahren durch cisgeschlechtliche Personen. Einige Politiker*innen des rechts-konservativen Parteienspektrums fordern daher eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts.
Vorkehrungen gegen Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes
Der Fall Liebich löste eine breite Debatte um Missbrauchsrisiken des SBGG und mögliche Gesetzesänderungen zur Vermeidung des Rechtsmissbrauchs aus. Vergessen wird dabei oft, dass im SBGG selbst bereits diverse Vorkehrungen getroffen wurden, um missbräuchlichen Nutzungen vorzubeugen.
Zunächst gibt es zeitliche Vorgaben, die eine leichtfertige oder kurzfristige Inanspruchnahme der gesetzlichen Möglichkeiten verhindern sollen: Gemäß § 4 S. 1 SBGG muss nach der Anmeldung zur Personenstandsänderung eine dreimonatige Wartezeit vergehen, ehe die Änderung erklärt werden kann. Zudem sieht § 5 Abs. 1 S. 1 SBGG eine einjährige Sperrfrist vor, während der der Name oder Geschlechtseintrag nicht erneut geändert werden kann.
In Fällen, in denen die Änderung offensichtlich missbräuchlich erfolgen soll, gibt es mehrere Mechanismen, die dies verhindern. Zunächst verlangt der Tatbestand des § 2 Abs. 1 S. 1 SBGG eine vom Geschlechtseintrag abweichende Geschlechtsidentität. Liegt diese nicht vor, kann der Personenstand nicht nach dem SBGG geändert werden.
Auch nach Änderung des Geschlechtseintrages gibt es Einschränkungen der rechtlichen Wirkung. So stellt § 6 Abs. 2 SBGG klar, dass beim Zugang zu Einrichtungen und Räumen, also beispielsweise Schutzräumen wie Frauenhäusern oder Frauengefängnissen, das Hausrecht und die Satzungsfreiheit unberührt bleiben. Diese Einrichtungen sind also nicht notwendigerweise verpflichtet, trans* Personen aufgrund ihres Geschlechtseintrages Zugang zu gewähren. Ebenso ist der Geschlechtseintrag für die Bewertung sportlicher Leistungen nicht bindend. Auch eine Personenstandsänderung mit dem Ziel, im Verteidigungs- oder Spannungsfall dem Dienst an der Waffe zu entgehen, wird in § 9 SBGG ausgeschlossen.
Im Ergebnis bedarf es möglicherweise keiner weiteren Einschränkung des SBGG, sondern lediglich der konsequenten Nutzung bereits bestehender Schutzmechanismen.
Wieso Liebich als Mann bezeichnet werden durfte
Nachdem Julian Reichelt Liebich auf dem Kurznachrichtendienst X mit ihrem Deadname als „den Neonazi Sven Liebich“ bezeichnet und behauptet hatte, Liebich sei „keine Frau“, urteilte das LG Berlin II, diese Aussage sei zulässig. Die Entscheidung steht in Kontrast zu einem Urteil des LG Frankfurt a.M., das in einem anderen Fall einer trans* Frau einen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch zugestanden hatte, nachdem diese vom Nachrichtenportal NiUS in mehreren Artikeln als Mann bezeichnet und diffamiert worden war.
Zur Begründung führte das LG Berlin aus, Reichelts Aussagen griffen zwar intensiv in Liebichs Persönlichkeitsrecht ein, seien aber durch das überwiegende Gewicht der Meinungsfreiheit gerechtfertigt. Liebich sei eine Person des öffentlichen Lebens und habe die Änderung des Geschlechtseintrages selbst in den sozialen Medien verkündet, sodass es sich nicht um besonders schützenswerte Informationen der Intimsphäre, sondern um solche der Sozialsphäre handle. Zudem seien Reichelts Aussagen keine reine diffamierende Schmähkritik ohne sachlichen Bezug, sondern es stehe die Kritik am Selbstbestimmungsgesetz im Vordergrund. Schließlich gebe es im Falle Liebichs aufgrund ihres offen transfeindlichen Vorverhaltens auch hinreichend Anhaltspunkte, an ihrer trans* Identität zu zweifeln. Die Meinungsfreiheit, einen möglichen Missbrauch des SBGG öffentlich zu debattieren, überwiege daher den Eingriff in Liebichs Persönlichkeitsrecht.



